2. Fremdsprache: Crêpes oder Kolosseum?

Immer wieder um diese Zeit taucht in verschiedenen Foren mit Bezug zu LRS die Frage nach der 2. Fremdsprache auf; in deutschen Gymnasien bedeutet das meist die Entscheidung zwischen Latein und Französisch. Die Kinder und Eltern stellen sich die Fragen: Was fängt man mit der Sprache an? Was liegt meinem Kind? Auf was hat mein Kind Lust? Soll die Studienfahrt nach Rom oder Paris gehen?
Für Kinder mit einer Lese- und/oder Rechtschreib-Schwäche ist eine wichtige Überlegung auch immer: Was ist das kleinere Übel für ein Kind, das in schriftlichen Dingen sowieso schon genügend Probleme und sich deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit schon durch den Englisch-Unterricht gequält hat?

So oft, wie die Fragen auftauchen, so oft habe ich auch den Eindruck, dass viele der (hoffentlich gutgemeinten) Ratschläge nicht weiterhelfen. Einige Menschen kennen nur eine Sprache, andere geben Ratschläge auf ideologischem Hintergrund (Französisch wegen Europa oder Latein wegen Kultur), wieder andere bewegen sich auf dem Niveau „Französisch klingt sowieso albern, deshalb sollte dein Kind Latein wählen“ oder „Nehmt Französisch, denn Latein ist ein Graus“.
Da Facebook und Co. nicht den Raum geben, die Eigenheiten der verschiedenen Sprachen gegeneinander abzuwägen, möchte ich hier ein paar Erfahrungen wiedergeben. Ich glaube, dass diese Erfahrungen eine Hilfe sein können für Menschen, die nicht beide Sprachen kennen.

Ja, das wird ein längerer Text, ich verstehe es deshalb sehr gut, wenn Sie hier klicken, direkt zum Vergleich springen und den Rest ignorieren (oder später lesen).

Warum sollte gerade ich etwas dazu sagen können?

Ich habe in der 5. Klasse Englisch gelernt, ab der 7. Klasse Französisch als 2. Fremdsprache genommen und ab der 9. im Zusatzunterricht noch freiwillig Latein gemacht. Ich behaupte: In allen drei Fällen mit Erfolg. Weitere Sprachen habe ich auf VHS-Niveau ein bisschen „angelernt“. Ich denke, ich kann zumindest einen Einblick in die Sprachen geben und mithelfen, zu einer durchdachten Entscheidung zu kommen.
Ich habe alle Sprachen gemocht. Das hat den Vorteil, dass ich wohlwollend über die Sprachen urteilen kann.
Keine Angst, Sie müssen meinen Ratschlägen nicht folgen – schon allein deshalb nicht, weil ich gar keine geben werde. Ich kenne weder Kind, noch Schule, persönliche Schwierigkeiten oder Möglichkeiten der Hilfestellung zu Hause – natürlich kann ich Ihnen keinen Ratschlag geben. Ich schreibe nur ein paar Dinge zusammen, die ich beim Sprachenlernen festgestellt habe.

Auswahl der 2. Fremdsprache: „Alles doof“ – oder?

Wenn man ganz plakativ an die Sache herangeht, stellt man fest:
Im Lateinischen ist es wichtig, die Endungen aller Wörter exakt zu interpretieren. Nur dann kann man daraus die richtige Bedeutung erschließen – Für Menschen, die nicht genau lesen, eher ungeeignet.
Das Französische dagegen ist bei der Schreibweise der Vokale sehr weit vom Deutschen entfernt – Für Menschen, die sich sowieso mit unterschiedlichen Schreibweisen schwertun, eher ungeeignet.

Also alles doof? Nicht ganz. Zum einen sind die Herangehensweisen an beide Sprachen komplett unterschiedlich. Je nachdem, wie man lieber lernt, kann eine Sprache besser geeignet sein als die andere.
Außerdem gibt es bei LRS ganz unterschiedliche Ausprägungen: Die einen haben mehr Leseschwierigkeiten, die anderen mehr Schreibschwierigkeiten, wieder andere haben in beiden Bereichen Schwierigkeiten – nicht jede Besonderheit der Sprachen wird für alle LRS-Betroffene gleichermaßen relevant sein.
Und wie in allen anderen Fächern gilt die Regel: Man lernt das am besten, was man auch lernen will. Die schwierige Grammatik fällt mit Spaß leichter als die einfachere Grammatik unter Zwang.

Kleiner Exkurs: Wie sieht’s im Deutschen aus?

Gerne wird behauptet, dass das alles so viel schwerer als im Deutschen sei. Ich behaupte: Wir hatten nur länger Zeit, uns daran zu gewöhnen. Kleine Anekdote vom Schüleraustausch: Unter französischen Schülern gelten Latein und Deutsch als (grammatikalisch) gleich schwer, die deutsche Aussprache ist für Franzosen allerdings schlimmer.
Es gibt ja immer wieder Leute, die behaupten, dass im Deutschen alles so geschrieben wie gesprochen wird (erschreckend, wie viele Lehrer darunter sind). Suchen Sie einfach einmal den Buchstaben „e“ im vorherigen Satz zusammen: Die ersten vier werden alle anders ausgesprochen. Weitere (unsortierte) Beispiele:

  • Fehlende Markierung von offenen und geschlossenen Vokalen
  • Auslautverhärtung – die meisten Konsonanten werden am Ende der Silbe hart gesprochen – egal, wie man sie schreibt (https://de.wikipedia.org/wiki/Auslautverh%C3%A4rtung)
  • Drei grammatische Geschlechter, willkürlich verteilt
  • Weitgehend freie Verteilung der Satzglieder, aber Prädikat an zweiter Stelle, außer im Nebensatz, wo es an die letzte Stelle rutscht (und natürlich außer im Aufforderungs- oder Fragesatz)
  • Teilweise willkürlicher Wechsel zwischen Schreibung nach Stamm-, Laut-, oder Herkunftsprinzip
  • Pluralbildung auf r, n, e oder gar nicht, teilweise mit Umlautung (kennen Sie die Regeln dazu? Ich nicht.)
  • Grammatikalische Endungen, die alle so ähnlich sind, dass man trotzdem noch Artikel oder Pronomen braucht, um zu wissen, was gemeint ist.
  • Knacklaut: Kommt in den meisten Wörtern vor, wird aber nie geschrieben1
  • Unregelmäßige Verben noch und nöcher…

Sie können mir glauben – es gibt genügend Menschen, die uns dafür hassen, dass sie diese Sprache lernen müssen. Wann immer jemand in einer Erklärung erwähnt, dass Deutsch so viel einfacher und logischer sei, hat er oder sie mit hoher Wahrscheinlich keine Ahnung.2 Richtig ist: Das Gewohnte fällt leichter als das Neue.

Jetzt kommt doch ein Ratschlag: Fassen Sie Sprachen immer als in sich geschlossenes System auf und verwenden Sie Vergleiche nur, um Eselsbrücken zu bauen. Die französische Aussprache von „au“ als geschlossenes „o“ ist schließlich nicht absurder als die deutsche Aussprache von „eu“ als „oi“.

Einige Vorurteile

Was mir immer wieder in Diskussionen über die Sprachenwahl auffällt, sind Vorurteile oder plakative Aussagen, die zum Teil einfach nicht stimmen, zum anderen Teil auch gar nichts mit der Entscheidung in dieser einen Situation zu tun haben. Aussagen oder Ratschläge, die in die Richtung dieser Liste gehen, brauchen Sie für die Sprachenwahl nicht in Betracht ziehen.

Französisch

Französisch ist die Sprache der internationalen Institutionen (Sport, Post,…) sowie des Adels.
Auch wenn die Institutionen z.T. noch französische Namen haben, hat sich Englisch als Weltsprache durchgesetzt. Eine Relevanz für eine spezielle Adelssprache kann ich nicht mehr erkennen. Wir können diese Aussage also als weitgehend veraltet bezeichnen.

Die französische Aussprache ist wirr und nicht nachzuvollziehen.
Das ist definitiv falsch. Die Aussprache von französischen geschriebenen Wörtern ist – bis auf wenige Ausnahmen – eindeutig. Richtig ist: Man kann die Aussprache nicht an einzelnen Buchstaben festmachen, dafür werden aber gleiche Buchstabenkombinationen immer gleich ausgesprochen. Es ist natürlich für deutsche Lesegewohnheiten nicht so einfach wie das Italienische oder gar das Spanische, aber deutlich besser als Englisch, wo man im Prinzip zu jedem Wort die Aussprache extra dazulernen muss.3
Richtig ist aber auch: Viele Kombinationen werden gleich ausgesprochen, aber unterschiedlich geschrieben. Das kann Schwierigkeiten beim Schreiben verursachen. Dazu weiter unten mehr.

 

Lateinisch

Lateinisch ist die Grundlage aller romanischen Sprachen und auch vieler Lehnwörter in ganz Europa. Es ist also sinnvoll, zuerst Latein zu lernen, da alles andere einfacher wird.
Wenn das wirklich sinnvoll wäre, würde man auch zuerst altes Germanisch und danach Englisch lernen. Latein als Grundlage der romanischen Sprachen stimmt natürlich. Allerdings erfordert es schon ein tieferes Verständnis für die Sprachen und ihrer jeweiligen Entwicklungen, um das in der Praxis anwenden zu können. Die Lehnwörter stimmen auch, zumindest für West- und Nord-Europa. Aber um zu vermuten, dass Nation, nation, nazione und nación alle dasselbe bedeuten, muss man nicht wissen, dass das Original natio lautet. Latein als Grundlage für verschiedene Sprachen ist dann sinnvoll, wenn man die verschiedenen Sprachen auch alle lernen oder vergleichen will.

Wer Latein beherrscht, kann sich in romanischen Ländern zumindest verständlich machen.
Darf ich sarkastisch werden? Diese Aussage kommt wahrscheinlich von den gleichen Leuten, die auch versuchen, sich mit ihren Altgriechisch-Kenntnissen in Athen etwas zu essen zu bestellen. Mit Englisch kommt man in beiden Fällen deutlich weiter.

Latein ist logisch.
Fünf Fälle, drei grammatikalische Geschlechter, verschiedene Deklinationen und Konjugationen, alle mit ihren eigenen Endungen (die teilweise identisch sind und trotzdem unterschiedliche Bedeutungen haben) und zu allem noch die jeweiligen Ausnahmen. Wer eine logische Sprache sprechen will, soll zu Esperanto oder Interlingua greifen oder gleich programmieren lernen. Gewachsene, natürliche Sprachen sind nicht logisch. Und während sich bei lebenden Sprachen einige Formen zusammengeschliffen haben, sind im konservierten klassischen Latein diese Formen alle noch enthalten.

Latein braucht man für viele Studiengänge, z.B. Medizin, Theologie, Romanische Sprachen, Geschichte…
Medizin: Da genügt es, ein festgefügtes Vokabular auswendig zu lernen. Romanische Sprachen: Ja, notwendig, bei Beschäftigung mit der Sprachhistorie. Geschichte: Ja, beim Quellenstudium, je nach Fachbereich. Theologie: Stimmt tatsächlich. Eines davon jetzt relevant? Falls nicht: In den entsprechenden Studiengängen gibt es immer auch die Möglichkeit, die benötigten Kenntnisse in Zusatzkursen zu erwerben.

Der Unterricht

Französisch

Französisch ist eine lebende Sprache, die Gestaltung der Lehrmaterialien folgt damit dem üblichen Schema: Irgendwelche Kinder und Jugendliche im ähnlichen Alter wie die Klassenstufe tun alltägliche Dinge und stellen ganz nebenbei noch das Land vor. Von Anfang an wird die Aussprache erklärt.

Schreibung und Aussprache

Geschriebener Text wirkt erst einmal sehr verwirrend, da viele Buchstabenkombinationen anders ausgesprochen werden als im Deutschen. Die Aussprache wird häufig erst durch die darauf folgenden Buchstaben klar. Allerdings gibt sich diese Schwierigkeit sehr schnell, da jede Kombination immer gleich ausgesprochen wird; die Ausnahmen sind schnell gelernt und teilweise extra markiert. Die meisten Konsonanten im Auslaut werden nur gesprochen, wenn ein weiterer Vokalbuchstabe folgt. Ist es ein „e“, bleibt dieser stumm. Wenn einzelne Buchstaben von der üblichen Aussprache abweichen, werden sie meist markiert.4
Dass im „offiziellen“ Französisch Dialekte oder Abwandlungen fast nicht existieren, macht es ebenfalls einfacher als im Englischen, wo irgendwann spezielle Wörter oder die geänderte Aussprache für die amerikanische (oder irische, oder australische….) Variante ebenfalls unterrichtet werden.5
Zusammengefasst kann man sagen: Dinge, die einmal gelernt sind, stimmen auch. Die Aussage „das ist jetzt anders als das, was ihr vor 3 Monaten gelernt habt“ wird man im Französisch-Unterricht nur selten hören.

Übrigens: Die Akzente sind – zumindest auf den „E“s – nicht beliebig verteilt. e, é und è/ê bezeichnen drei unterschiedliche Laute, also besser gleich korrekt mitlernen und nicht den Fehler machen, sich erst irgendwann später genauer um die Akzente zu kümmern.

Von der gesprochenen Sprache zur Schrift ist es allerdings schwieriger: Nur, weil etwas gleich klingt, heißt das noch lange nicht, dass es gleich geschrieben wird. Es gibt vor allem bei den Verben viele stumme Endungen, die man nur durch korrektes Verständnis der jeweiligen grammatikalischen Funktion des Wortes richtig schreiben kann.6

Besonderheit bei der Aussprache: Je nach Wortfolge hört man die stummen Endungen doch (auch das folgt festen Regeln). Wörter werden verbunden gesprochen, dabei tauchen manche stumme Konsonanten wieder auf. Wer das vergisst, klingt zwar nicht schön, das wird sich in der Note aber nicht allzu stark niederschlagen.

Satzbau

Wer schon Englisch gelernt hat, kommt mit dem französischen Satzbau gut zurecht. Die Folge der Satzglieder ist Subjekt-Prädikat-Objekt. Ab und zu kommen ein paar Objektpronomen dazwischen. Vorne und hinten werden zusätzliche Satzglieder (meistens adverbiale Bestimmungen) angehängt. Wenn man weiß, was man sagen will, ist die Position der meisten Satzglieder schon fest vorgegeben.
Wörter werden nicht zu langen Schlangen wie im Deutschen oder zu langen Ketten von einzelnen Wörtern wie im Englischen zusammen gesetzt, sondern fast immer durch passende Präpositionen verbunden (Salle à manger – Raum zum Essen – Esszimmer).

Plural

Plural wird bei den meisten Wörtern durch das Anhängen eines s oder seltener eines x gebildet (wobei bei den x-Pluralen oft noch der Buchstabe vor dem x verändert wird – aber auch das folgt festen Regeln) . Unregelmäßige (im Sinne von auswendig zu lernende) Pluralbildung wie im Englischen gibt es nicht.

Verben

Zurück zu den Verben: Wie in allen romanischen Sprachen sind auch hier die Verbformen und -endungen viel wichtiger als im Deutschen und in anderen germanischen Sprachen. Die Personalendungen sind in allen unterschiedlchen Zeiten oft gleich und ziehen sich auch durch verschiedene Verbgruppen. Es gibt ein paar größere Gruppen, die auch gleich (d.h. regelmäßig) konjugiert werden, dazu gibt es etliche kleinere Gruppen, die alle ihre eigenen Varianten haben. Meistens handelt es sich um Dinge, die ansonsten schlecht klingen würden und sich von selbst erschließen – zumindest, wenn man einen Bezug zur Sprache entwickelt hat. Auch hier gilt – erst auswendig lernen, dann regelkonform und mit wenigen Ausnahmen anwenden.

Artikel / Geschlecht

Es gibt zwei grammatikalische Geschlechter, nämlich männlich und weiblich. Bis auf biologisch eindeutige Zuordnungen und manche Endungen (-ion – weiblich, -age männlich) sind sie beliebig verteilt. Wenn Wörter den gleichen Artikel haben wie im Deutschen, ist das reiner Zufall, also gleich mitlernen. Die Artikel gleichen sich an die Substantive an, hängen also je nach Geschlecht oder Zahl ein e und oder s (oder x, mit den zusätzlichen Regeln ähnlich wie bei den Substantiven) an, die man meistens nicht hört.

Latein

Latein wird nicht wie eine Sprache, sondern wie ein Kodierungssystem unterrichtet. Die Unterrichtssprache ist auch nach Jahren noch deutsch. Es wird immer nur vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt. Hörverstehen findet nicht statt, eigene Textproduktion ins Lateinische ebenso wenig (am Anfang ein bisschen, um Vokabeln besser zu üben, gegen später geht es nur noch in eine Richtung).

Aussprache

Die Aussprache im deutschen Lateinunterricht entspricht dem, was man erwartet, kaum Schwierigkeiten für deutsche Leser.

Grammatik

Die Grammatik ist schwer, anders lässt sich das nicht beschreiben. Latein kennt keine Artikel (der, die, das). Auf Personalpronomen (ich, du, er, sie…) wird weitgehend verzichtet. Die nötigen Informationen stecken in der Wortendung.
Außerdem ist der Satzbau komplett frei, alle Satzglieder können überall im Satz auftauchen. Man muss also ganz genau wissen, welche Endung in welcher Kombination einen Sinn ergeben kann. Die typische Herangehensweise bei der Übersetzung ist: Hauptverb im Satz suchen und Form bestimmen. Überlegen, welche Objekte zu diesem Verb passen, diese Objekte anhand der jeweiligen Endung suchen, alles zusammensetzen, Übersetzung aufschreiben und auf zum nächsten Satz. Da die Endungen zwar wichtig, aber nicht immer eindeutig sind, kann es passieren, dass man die Wörter auch anders kombinieren kann. Hier muss man die möglichen Bedeutungen aller Endungen im Kopf haben und darf auch keine davon falsch lesen oder ignorieren.

Latein hat für die Substantive fünf Fälle und die gleichen drei grammatikalische Geschlechter wie das Deutsche. Auch hier gilt wieder: wild verteilt, Übereinstimmungen mit dem Deutschen sind Zufall – Ausnahmen hier: Endungen, die zusammen mit den Fremdwörtern übernommen wurden, z.B. -tio oder -tas, auf deutsch dann -tion oder -tät (also actio/Aktion oder universitas/Universität). Jedes Substantiv ist einer Deklination zugeordnet, bildet die Endungen für die einzelnen Fälle also nach bestimmten Regeln. Das Geschlecht kann man einigen Substantiven ansehen, die Deklination auch, es gibt aber genügend Ausnahmen. Man lernt die Substantive deshalb immer zusammen mit Deklination und Geschlecht.7

Bei den Verben sieht es ähnlich aus. Auch hier gibt es verschiedene Gruppen (Konjugationen), die alle ihre Endungen unterschiedlich bilden (die Endung ganz am Schluss ist – wie im Französischen – wieder weitgehend gleich, man lernt aber, welche Buchstaben noch zwischen Wortstamm und Endung eingefügt werden).
Während moderne Sprachen die Menge der möglichen Endungen oft durch Hilfsverben reduzieren, hat diese Vereinfachung im Lateinischen nicht stattgefunden. Es gibt für jede Variation eine eigene Endung.8

Erschließen von Inhalten

Ab einem gewissen Textniveau wird im Lateinischen viel mehr Kontext vorausgesetzt als in moderneren Sprachen. Was nicht unbedingt zum Verständnis benötigt wird, wird weggelassen. Das sorgt dafür, dass lateinische Sinnsprüche mit deutlich weniger Wörtern auskommen als deutsche Sprichwörter. Wer aber in einem Text den vorherigen Satz nicht verstanden hat, kann vielleicht den aktuellen Satz schon gar nicht mehr richtig übersetzen. In diesem Sprachniveau wird übrigens nicht mehr nur bewertet, ob die Übersetzung richtig ist, sondern ob sie auch dem Sprachniveau entsprechend ist.

Alltagsbezug zum heutigen Leben gibt es nicht. Man lernt den Wortschatz von vor 2000 Jahren. „Landeskunde“ ist quasi Geschichtsunterricht.

Vergleich

Französisch ist eine lebende Sprache, die so unterrichtet (und verwendet) wird wie andere Sprachen auch: schriftliches und mündliches Übersetzen in beide Richtungen, aktive Verwendung, Hörverstehen, Landeskunde. Die Aussprache unterscheidet sich stark vom Deutschen, ist aber – im Gegensatz zu Englisch – nachvollziehbar und folgt festen Regeln. Auch komplett unbekannte Wörter können korrekt ausgesprochen werden. Gesprochenes in Geschriebenes umsetzen erfordert je nach Wortart grammatikalische Kenntnisse, da man die markierten Unterschiede nicht hört. Für das Verständnis sind diese Unterschiede meistens nicht nötig, machen aber vieles klarer. Die klare Anordnung der Satzglieder (Subjekt – Prädikat – Objekt) erleichtert das Verständnis für den Inhalt. Die Verbformen erfordern mehr Grammatiklernen als im Englischen aber deutlich weniger als im Lateinischen.

Latein ist eine tote Sprache, der Unterricht besteht nur aus Übersetzungen ins Deutsche. Die Landeskunde entspricht mehr oder weniger einem vertieften Geschichtsunterricht über die griechisch-römische Antike.
Für das Verständnis zwingend notwendig ist das exakte Lesen, einzelne Buchstaben können die Bedeutung des kompletten Satzes ändern. Die komplett freie Anordnung der Satzglieder erfordert „Rätsel-Disziplin“ beim Analysieren längerer Sätze. Die Aussprache ist kein Thema.

Mein Fazit

Diese Hinweise sollen LRS-Betroffenen, die nicht beide Sprachen kennen, helfen, den zukünftigen Unterricht besser abzuschätzen – nicht mehr und nicht weniger. Die Hinweise basieren auf meinen eigenen Erfahrungen, und sind nicht durch Statistiken oder andere Untersuchungen untermauert.

Für diese Zielgruppe können wir ganz grob zusammenfassen: Französisch muss aktiv verwendet werden, Latein passiv. Französisch hat die Schwierigkeiten eher beim (exakten) Schreiben, Latein hat die größeren Schwierigkeiten beim (exakten) Lesen.

(ein ganz großes) Aber: Man lernt vor allem das gut, zu dem man eine emotionale Bindung hat. Eine Sprache transportiert auch immer eine Kultur. Es wäre sehr schade, wenn dieser emotionale Bezug komplett aus der Entscheidung herausgehalten wird. Wenn man eine Sprache oder die dazu passende Kultur wirklich (kennen)lernen will, kommt man auch mit höheren Schwierigkeiten zurecht als bei einer Sprache, auf die man keine Lust hat. Und deshalb ist eine der wichtigsten Entscheidungen: Über was würde sich Ihr Kind wirklich freuen – auch in mehreren Jahren noch? Crêpes oder Kolosseum?

Wenn Sie vom Anfang hierher gesprungen sind und sich jetzt doch für die lange Erklärung interessieren, können Sie hier wieder nach oben springen.

  1. Der Knacklaut (er hat auch viele andere Namen) ist der Laut, den man im Wort „beeilen“ zwischen „be“ und „eil“ hört. In der Standardaussprache in Deutschland wird der Knacklaut vor jedem Vokal im Anlaut gesprochen. Zum Vergleich: Im Französischen kommt der Laut fast gar nicht vor. Das ist der Grund, warum Deutsch abgehackt und Französisch „am Stück“ klingt. []
  2. Es gibt sicher in jeder Sprache irgendein Detail, das besser gelöst ist als in anderen Sprachen. Aber eine generelle Behauptung, dass eine Sprache als Referenz für alle anderen gelten kann, entbehrt jeder Grundlage. []
  3. Ich kenne übrigens keine Sprache, deren Laut-Buchstaben-Zuordnung so willkürlich ist wie das Englische. Wenn die Aussprache im Französischen spezielle Probleme bereiten sollte, dann im Englischen noch viel mehr. []
  4. Und zwar mit Trema (also 2 Pünktchen wie bei ä, ö, ü). Wie viele Wörter mit Trema (außer „Citroën“) sind Ihnen schon aufgefallen? Viele sind es nicht. Dazu kommt noch die abweichende Aussprache von „femme“, und Sie haben einen guten Überblick der Ausnahmen. []
  5. Es gibt natürlich Dialekte, sowie belgische oder schweizerische Besonderheiten (oder auch Varianten in den vielen anderen Ländern mit französischer Amtssprache). Diese waren aber in meinem Unterricht kein Thema und sind es, den aktuellen Schulbüchern nach zu schließen, immer noch nicht. []
  6. Beispiel: aller (gehen Grundform), allez (ihr geht), allé (gegangen Einzahl männlich oder unbekannt), allée (gegangen Einzahl weiblich), allés (gegangen Mehrzahl nur männlich, gemischt oder unbekannt) und allées (gegangen Mehrzahl weiblich) werden alle exakt gleich ausgesprochen, nämlich wie die deutsche Allee – wobei, wie Sie jetzt wissen, die deutsche Allee noch einen zusätzlichen Knacklaut vor dem A erhält. []
  7. Typischer Eintrag im Vokabelheft: dominus, -i, m. – Herr, wobei das -i die Deklination bestimmt und m für das Geschlecht steht. []
  8. Beispiel: Ich bin vom Arzt behandelt worden – Passiv Perfekt. Das Perfekt wird durch „bin“ und die für alle Personen gleiche Partizipform „behandelt“ dargestellt, das Passiv durch „werden“. Im Lateinischen gibt es dafür eine eigene Endung. []